Herr de Haan, wie würden Sie Zukunft definieren? Ist sie von vergangenen Ereignissen bestimmt, oder ein Zeitraum voller offener Möglichkeiten?
Es ist immer beides. Wir sind im Grunde mit allem, was wir in der Vergangenheit realisiert haben und was wir gegenwärtig tun, schon in der Zukunft gelandet, weil die Folgen des Handelns in der Zukunft wirksam werden. Auf der anderen Seite ist nichts so festgelegt, dass man nicht mit Projektionen operieren und selber neue Ideen anstoßen könnte. Sonst müsste man ja sagen, es gibt Prognosen, durch die erkannt wird, wie die Zukunft aussehen wird. Dann könnten wir uns zurücklehnen und denken: Ich muss nicht aktiv werden, denn was die Zukunft bringt, tritt sowieso ein – sie ist festgelegt. Das ist sie aber nicht.
Sind in so unsicheren Zeiten wie jetzt Zukunftsforschende wie Sie besonders gefragt?
Wir nehmen das so wahr. Es ist ein deutliches Interesse an Antworten zu erkennen, die eben nicht auf die kurzfristige Bewältigung von Pandemien abzielen. Viel stärker als noch vor wenigen Jahren sind wir gefordert, innerhalb der Dynamik von gesellschaftlichen Veränderungen und dem hohen Grad an Innovationen, wie wir ihn heute erleben, neue oder veränderte Handlungsoptionen aufzuzeigen. Dabei versuchen wir immer partizipativ Ideen für die Zukunft zu generieren und diese Optionen wiederum in einen größeren Kontext zu stellen.
Sie analysieren gesellschaftliche Wandlungsprozesse. Wie geschieht das?
Zukunftsforschung agiert nicht primär mit Prognostik, wie es bei der Erfassung statistischer Wahrscheinlichkeiten der Fall ist. Wir operieren mit dem, was man im alltagssprachlichen Sinne Wahrscheinlichkeiten nennt – wahrscheinliche Entwicklungen, die sich stark auf Plausibilitäten stützen. Wir versuchen, gute Gründe für bestimmte Entwicklungen zu finden, die sich einstellen könnten. So schauen wir auch nach dem, was man im Französischen die „longue durée“ nennt – Entwicklungen, die schon einen langen Zeitlauf haben. Auch daraus kann man eine Menge ableiten.