Der Audi activesphere concept ist erstaunlich wandelbar: vom eleganten Oberklasse-Onroad-Coupé zum vielseitigen Offroad-SUV mit Activeback, dessen Ladefläche zum Beispiel Halterungen für den Transport von E-Mountainbikes bietet.
Wie entwickelt sich Audi Design in die Zukunft? Wie lässt sich das überhaupt definieren? Ein Gespräch mit Claus Potthoff, Leiter der Designstrategie im Audi Design.
Claus Potthoff ist Produkt- und Fahrzeugdesigner und seit über drei Jahrzehnten für Audi tätig. 2011 wurde er Leiter der Designstrategie und baute diese Abteilung auf.
Claus Potthoff ist Produkt- und Fahrzeugdesigner und seit über drei Jahrzehnten für Audi tätig. 2011 wurde er Leiter der Designstrategie und baute diese Abteilung auf.
Claus, was bedeutet Designstrategie eigentlich?
Designstrategie
ist ein sehr vielfältiges Thema. Es beginnt mit der Überlegung, wie
sich Design in Zukunft entwickelt. Die Ausprägung von Design unter
Berücksichtigung zukünftiger gesellschaftlicher Einflüsse, also die
Bedeutung von Design im höheren Sinne. Aber dann geht es bei
Designstrategie natürlich auch um die Ausgestaltung unserer Produkte,
vorauszuplanen, wie sich Fahrzeugkonzept sowie Designsprache entwickeln.
Basis dafür ist die Designphilosophie: Was ist unsere große
Ausrichtung?
Hier haben wir vor einigen Jahren unseren Weg definiert:
Wir gestalten Erlebnisse, Experiences, nicht mehr nur Produkte. Das
Produkt als Hardware an sich ist nur noch ein Teil eines
Designerlebnisses. Neue Technologien, Kommunikation, Digitalisierung
bestimmen immer stärker die Gestaltung, aber vor allem auch die Nutzung
der Fahrzeuge. Damit reicht es nicht mehr aus, die Form zu gestalten,
sondern man muss auch das Umfeld dazu gestalten, also die Erlebnisse,
die ich mit dem Fahrzeug erleben kann.
Ich vergleiche es immer mit
dem Smartphone. Das verfügt über ein klassisches, schönes Produktdesign.
Aber viel wichtiger ist das, was ich damit machen, damit erleben kann,
wie ich damit mein Leben gestalte. Genau so werden sich Erlebnisse in
Zukunft viel stärker auf das Fahrzeug auswirken. Dabei ist es wichtig
vorauszuplanen, in welche Richtung wir uns strategisch entwickeln
wollen. Der Audi activesphere concept¹ zum Beispiel zeigt diesen
Experience-Charakter par excellence.
Ein Erlebnis ist ja etwas Abstrakteres, kein sichtbares, greifbares Design.
Auch
im klassischen Design gibt es natürlich das Erlebnis. Das ästhetische
Erlebnis, ein schönes Auto zu sehen, die Proportionen, die Dynamik. Dann
im Innenraum, wie ist die Qualität, wenn ich Dinge anfasse und die
Wertigkeit spüre. Das ist natürlich auch etwas, was unserer Kundschaft
ein Erlebnis gibt, was sie emotional fesseln kann. Und diese Erlebnisse
erweitern sich jetzt stark um die digitalen Themen, die nicht physisch
greifbar sind. Anzeigen und Konnektivität im Fahrzeug stellen ganz neue
Ansprüche an das Thema User Interface und User Experience. Einerseits
nehmen Bildschirme und Projektionsflächen immer mehr Platz im Fahrzeug
ein. Aber die Digitalisierung verändert natürlich die Bedienung des
Fahrzeugs, den Umgang mit Informationen im Fahrzeug. Daher bezeichnen
wir das als Experience-Design oder Erlebnis-Design. Und uns ist sehr
wichtig, dass man auch dabei den Premiumanspruch spürt, der Audi
auszeichnet.
Claus Potthoff
Dekonstruktivismus in der Architektur ging neue Wege. Das inspiriert Claus Potthoff.
Claus Potthoff: Audi Design gestaltet gesamthafte Erlebnisse über das Produkt hinaus.
Dekonstruktivismus in der Architektur ging neue Wege. Das inspiriert Claus Potthoff.
Claus Potthoff: Audi Design gestaltet gesamthafte Erlebnisse über das Produkt hinaus.
Audi hat in den vergangenen Jahren immer wieder Konzeptfahrzeuge
vorgestellt. 2017 bis 2019 waren das die AI-Konzepte, aktuell die vier
Sphere Konzeptfahrzeuge. Ist das ein Weg, sich der Zukunft zu nähern und
zu überprüfen, wie die Reaktionen darauf sind?
Auf jeden Fall.
Die vier AI-Fahrzeuge 2017 bis 2019 zeigten auf, wie sich das Thema
Automobil verändert, wenn automatisiertes Fahren irgendwann Realität
wird und man Fahrzeuge vielleicht nicht mehr besitzt, sondern nur nutzt.
Daher konzipierten wir vier Use Cases und schufen jeweils ein Fahrzeug
mit neuesten Technologien dazu. Da sind wir sehr weit in die Zukunft
gesprungen, vielleicht 30 Jahre. Uns ging es darum, zu erforschen, wie
der Umgang mit dem Fahrzeug ist, wenn man so weit vorausschaut.
Bei
den vier Sphere Modellen war es uns dagegen wichtig, näher an den
Fahrzeugen zu sein, die wir in Zukunft bringen werden. Das heißt, sie
sind technologisch früher umzusetzen, sind nicht so radikal, zeigen aber
auf, wie sich die Zukunft für uns darstellt.
Wir bewegen uns also
mit unseren Konzeptfahrzeugen von der fernen Zukunft zurück in die
Gegenwart und lassen diese Zukunftsinspirationen hier einfließen, um
einen Fortschritt unserer Konzepte und auch der Designsprache zu
vollziehen.
Ideen, wie Dinge wirken, bekommt Claus Potthoff auch aus Büchern – gerade über Architektur.
Ideen, wie Dinge wirken, bekommt Claus Potthoff auch aus Büchern – gerade über Architektur.
Werden Fahrzeuge bald futuristischer aussehen? Oder verändert sich Gestaltung evolutionär?
Ich tue mich immer etwas schwer mit dem Begriff futuristisch. Einige
Studien von uns waren sehr futuristisch. Und je näher man an den
prognostizierten Zeitpunkt kommt, auf den diese Studien projiziert
waren, umso mehr entwickelt sich auch die Designsprache in diese
Richtung.
Wir bei Audi bevorzugen eine kontinuierliche, aber dynamische
Entwicklung im Design. Weil wir die Verbindung halten wollen zwischen
dem, was heute ist, und dem, was wir morgen machen. Diese Schritte im
Exterieurdesign sind manchmal etwas größer und manchmal etwas kleiner.
Aber etwa alle drei bis vier Jahre erkennt man sie an neuen Modellen.
Aktuell sind viele unserer Fahrzeuge sehr emotional und auch sehr stark
über klare Linien definiert. Wir gehen jetzt den Schritt in eine
Formensprache, die wieder etwas weicher und fließender ist. Bei der wir
quasi Linien reduzieren und stärker über Volumen und gespannte Flächen
arbeiten.
Unsere Welt ist so komplex, man bekommt permanent so viele optische
Eindrücke, da sollen Audi Fahrzeuge ein Ruhepol sein. Wir wollen mit
unserem Fahrzeugdesign Menschen emotional berühren und für sie
bedeutungsvolle Erlebnisse gestalten. Audi RS e-tron GT* und Audi Q4
e-tron sind schon Fahrzeuge, die wieder etwas stärker in diese weiche
Richtung gehen. Das wird sich in den nächsten Jahren entsprechend
fortsetzen.
Claus Potthoff
Wertigkeit zu spüren ist für Potthoff immer noch ein Erlebnis im klassischen Design.
Designstrategie blickt nach vorn, wie sich Design in Zukunft entwickelt.
Wertigkeit zu spüren ist für Potthoff immer noch ein Erlebnis im klassischen Design.
Designstrategie blickt nach vorn, wie sich Design in Zukunft entwickelt.
Du sagtest zu Beginn, dass Designstrategie auch von
gesellschaftlichen Einflüssen geprägt ist. Was sind dabei die
wichtigsten Treiber? Von welchen Einflüssen lässt sich Audi inspirieren?
Da
ist natürlich die Frage, welche technologischen Veränderungen,
Möglichkeiten gibt es? Weil die Entwicklung in diesem Bereich sehr
dynamisch ist. Und dann beschäftigt uns die Internationalisierung enorm,
die großen Einflüsse aus den drei Märkten. Also Europa. Dann der
nordamerikanische Markt, der natürlich von Markt- und Kundenbedürfnissen
durchaus anders ist. Und nochmals eine Steigerung ist der chinesische
Markt, der sich mit einer sehr großen Geschwindigkeit entwickelt,
deutlich schneller als alle anderen Märkte.
Unser Anspruch ist
natürlich, entsprechend in diese Märkte und diese Regionen einzutauchen,
um herauszufinden, was ist neu, was ist für die Kund_innen in Zukunft
wichtig. Gerade in China ist die Kund_innenstruktur eine ganz andere.
Unsere Kundschaft dort ist deutlich jünger als in den anderen Märkten.
Sehr viele Kund_innen von Premiumfahrzeugen sind Erstkäufer_innen. Das
bedeutet, sie gehen ganz anders an das Thema Auto heran. Gerade deswegen
sind wir bei der Entwicklung des Audi urbansphere concept, den wir
vergangenes Jahr in China vorgestellt haben, einen neuen Weg gegangen,
eine Co-Creation zusammen mit speziell ausgewählten chinesischen
Trendreceivern und potenziellen Kund_innen. Wir haben sie von Beginn des
Designprozesses an eingebunden: Was wollt ihr von so einem
Fahrzeugkonzept? Das war eine sehr fruchtbare und sehr gute
Zusammenarbeit.
Das bedeutet, progressive Einflüsse von Kund_innen wirken sich auch auf die Designstrategie aus?
Ja,
man merkt, dass die schnelle Entwicklung des chinesischen Marktes
Einfluss hat. Es wird sehr interessant, wie sich das die nächsten Jahre
fortführt. Deswegen ist es für uns im Design momentan eine sehr
spannende Zeit, wie wir unsere Gestaltung weiterentwickeln, dass wir
wirklich auch diese neuen Erfordernisse gut erfüllen.
Auch beim Thema
der Fahrzeugkonzepte verändert sich viel. Werden diese ganz klassischen
Schubladen – das ist eine Limousine, ein Fließheck, ein Kombi oder ein
SUV – noch Bestand haben? Es gibt, im Sinne der Karosserieform, immer
mehr Hybridfahrzeuge. Da sind wir sehr am Puls der Zeit und haben gerade
sehr viele Ideen.