Die Stadt macht die Herausforderung noch einmal größer?
Bouzouraa: Grundsätzlich muss man den ganzheitlichen Ansatz verfolgen, da stimme ich zu. Die Domäne „Stadt“ mit Fußgängern und Fahrradfahrern bringt aber eine neue Dimension der Komplexität mit sich.
Dahlem: Weil auch Autobahnen in urbane Räume übergehen, werden wir uns da schrittweise nähern. Aber komplexe Kreuzungen, Kreisverkehre – möglicherweise mit einer Kuppe, über die die Sensoren nicht hinwegsehen können – das muss die Technologie dann zunächst einmal alles beherrschen.
Lütge: Und nicht erst dann wird es wichtig sein, Risiken zu gewichten. Also was sind Risiken, die man in Kauf nehmen würde, wie wird abgewogen? Daran forschen wir aktuell. Denn eines muss man sich klarmachen: Wir können nicht mit einer Null-Risiko-Philosophie an die Sache rangehen, das ist nicht realistisch.
Wie aber wägt man ab?
Dahlem: Der Maßstab ist der Mensch. Und der Mensch ist schon erstaunlich gut darin, in der letzten Millisekunde noch reagieren zu können. Entsprechend hoch sind unsere Anforderungen an das System mit seiner künstlichen Intelligenz.
Lütge: Besser als ein menschlicher Fahrer zu sein, birgt aber ein großes Interpretationspotenzial. Wenn man den Standard zu hoch setzt, zu vorsichtig, zu sportlich, zu defensiv, kann das auch kontraproduktiv sein.
Woran orientiert man sich also?
Bouzouraa: Wir entwerfen einen KI-Fahrer, indem wir einen Durchschnittsfahrer modellieren. Der Autobahnpilot, das können wir schon festhalten, wird ein vergleichsweise defensiver Fahrer sein. Letztlich soll man den Komfortgewinn des Gefahrenwerdens auch genießen. Das wäre nur schwer möglich, würde das automatisierte Fahrzeug zu aggressiv fahren. Es muss seine Passagiere unauffällig und sicher durch den Verkehr bringen. Die Frage, die wir uns stellen, ist, ob und wie eine Lernkurve des Systems akzeptiert werden würde.
Lütge: Das ist eine gute Frage, die wir auch in der Ethikkommission diskutiert haben. Nicht das einzelne Fahrzeug, sondern nur die Flotte darf lernen. Zumindest immer dann, wenn es sicherheitsrelevante Themen betrifft. Ob der eine dann lieber etwas langsamer auf der Autobahn unterwegs ist als der andere, das könnte man variabel gestalten. Dass grundsätzlich gelernt wird, dass sich das Gefahrenwerden mit der Zeit verändert, das kann man akzeptieren. Unsere Gesellschaft hat sich längst daran gewöhnt, dass künstliche Intelligenz Erfahrungen sammelt und sich anpasst.