César Muntada und sein Team gelten branchenweit als Avantgardisten der Lichtgestaltung. Wir sprachen mit dem Audi Head of Light Design über schöpferische Freiheit durch Fortschritt – und seinen persönlichen Weg zum Visionär.
Herr Muntada, wie wurde aus Ihnen ein so markanter Designer?
Zum einen hat meine ganze Familie viel mit Gestaltung und Kunst zu tun: Meine Großmutter spielte Konzertpiano, mein Vater war Architekt – ich lebte also in einer Welt, die mir meinen Lebensweg bereits ein bisschen suggerierte. Ich war immer von verrückten Objekten umgeben, erlebte oft, wie Neues scheinbar aus dem Nichts, durch ein paar Striche auf einem weißen Blatt Papier, kreiert wurde.
Zum anderen prägte mich mein Studium: Fahrzeugdesign in Großbritannien. Anfangs war mein Englisch so schlecht, dass ich in den Vorlesungen kaum etwas verstand. Am Ende meines ersten Projekt-Briefings standen alle auf und gingen, nur ich blieb sitzen und versuchte noch, aus der Aufgabenstellung schlau zu werden. Ein Telefon sollte man entwerfen, so viel wusste ich schließlich. Aber wo waren alle hingegangen? Der Dozent verriet mir: in die Bibliothek, zur Recherche. Gute Idee, dachte ich – und tat das Gleiche. Allerdings gab es natürlich kein einziges Buch über Telefone, vielleicht waren auch alle bereits entliehen, weil ich zu spät kam. Die Bibliothek war dennoch fantastisch, man konnte sich richtiggehend in ihr verirren! Ich verschlang ein Buch nach dem anderen, sprang von Thema zu Thema – Natur, Architektur, Luftfahrt... So lief das einige Wochen. Bis mir wieder einfiel: das Telefon! Ich ging ans Werk.
Am Tag der Präsentation hatten alle Telefone gemacht, die wie Telefone aussahen. Nur ich nicht. Man fragte mich begeistert: „Wie bist du nur auf diese Ideen gekommen!? Dein Entwurf sieht aus wie nichts, was wir bisher gesehen haben!“ In diesem Moment wurde mir ein für alle Mal klar: Wenn man die gleiche Perspektive hat wie alle anderen, dann macht man es wie alle anderen. Ich nahm mir vor, in Zukunft so oft wie möglich neue Sichtweisen zu forcieren, und versuche das bis heute. Das ist die Art Designer, die ich sein will.
Komplexe Formen dank technischer Evolution: Audi Lichtdesign ist kreativer denn je.
Dem in Barcelona geborenen Muntada wurde gestalterischer Anspruch früh vorgelebt.
Komplexe Formen dank technischer Evolution: Audi Lichtdesign ist kreativer denn je.
Dem in Barcelona geborenen Muntada wurde gestalterischer Anspruch früh vorgelebt.
Wie äußert sich diese Philosophie bei Ihrer Arbeit für Audi?
Das Besondere daran, wie wir bei Audi designen: Wir suchen nach dem, was wir brauchen oder was wir spannend finden, und geben uns nicht einfach mit dem zufrieden, was schon da ist. Wenn die Technologie, die wir einsetzen wollen, nicht automobilreif ist, dann entwickeln wir sie eben weiter! So kam es, dass wir jetzt mit LEDs arbeiten können, mit Lasertechnologie, mit OLEDs, mit Projektionen nach dem Prinzip von Beamern. Wir limitieren uns nicht auf den Ist-Zustand, sondern denken in Forschungsschritten.
Aber selbst der Ist-Zustand ist momentan spannender denn je, finden Sie nicht?
Das stimmt. Lichttechnik hat sich in den letzten Jahren rasant weiterentwickelt. Von einfachen Technologien, die es uns nicht erlaubten, komplexe Formen zu entwerfen, sind wir durch die elektronische Evolution zu enormer schöpferischer Freiheit gelangt. Das bedeutet, dass wir nun Objekte gestalten können, die sich perfekt ins restliche Design des Fahrzeugs einfügen. Jedes Auto vermittelt eine Botschaft, und wir sind Teil davon, wir unterstreichen sie. Diese Freiheit, diese Möglichkeiten kamen mit den LEDs, die wir endlich genau so platzieren konnten, wie wir eine Form oder eine Linie beschreiben wollten.
Welche gestalterische Linie zieht sich denn durch alle Licht-Projekte bei Audi?
Die Lichtsignatur jedes Audi ist natürlich unterschiedlich. Was dennoch alle Modelle eint: ihre extrem sportliche, aber nie unpräzise oder hektische Signatur. Wir wollen Klarheit und Ruhe vermitteln – ob aus der Ferne oder im Detail.
Wie sich Autoscheinwerfer bei nächtlichen Fahrten verhalten, wird im sogenannten Lichttunnel getestet. Auch bewegliche Hindernisse können hier simuliert werden.
Wie sich Autoscheinwerfer bei nächtlichen Fahrten verhalten, wird im sogenannten Lichttunnel getestet. Auch bewegliche Hindernisse können hier simuliert werden.
César Muntada
Gerade aus der Ferne nehmen manche Menschen LED-Licht immer noch als zu kühl wahr. Was halten Sie davon?
LEDs können sich fast an jede Situation anpassen, indem sie ihre Farbe ändern oder die Lichttemperatur und natürlich ihre Intensität. Das Problem entsteht erst, wenn sie falsch genutzt werden. Wenn man zu viel Lichtintensität da einsetzt, wo sie nicht gebraucht wird. Dann stören oder enervieren sie, und das wollen wir natürlich vermeiden. Deshalb haben wir zum Beispiel eine Matrix entwickelt, bei der sich das Fernlicht automatisch ausschaltet, wenn Ihnen ein Auto entgegenkommt.
Eigentlich ist die übliche Lichttemperatur von LEDs übrigens keinesfalls künstlich oder kalt, sondern kommt der des Tageslichts nahe. Doch selbst die Temperatur von Tageslicht erscheint uns ungewohnt, wenn wir im Auto durch die Nacht fahren. Wir neigen dazu, nachts Licht mit warmen Farben in Verbindung zu bringen.
Abgesehen von den Möglichkeiten der LED-Technologie: Welche Trends beobachten Sie in Sachen Licht?
Was ich besonders spannend finde: Es entsteht eine ganz neue Semantik der Bewegung. Erinnern Sie sich noch an Equalizer? Diese alten Maschinen, mit denen wir den Klang sehen konnten, weil sich dazu ein Licht bewegte? Inzwischen visualisieren wir Stille – also elektronische Impulse, die keine Geräusche mehr machen und deren Funktion sich dem Nutzer nur noch anhand von Lichtsignalen erschließt.
Dass die Formensprache des Lichtdesigns den sportiven und prägnanten Charakter der Fahrzeuge unterstreicht, ist dem Team um Muntada besonders wichtig.
„Können wir das ausprobieren? Ja, natürlich, warum denn nicht?“ César Muntada appelliert für eine progressive Arbeitsatmosphäre auf jedem Entscheidungslevel.
Dass die Formensprache des Lichtdesigns den sportiven und prägnanten Charakter der Fahrzeuge unterstreicht, ist dem Team um Muntada besonders wichtig.
„Können wir das ausprobieren? Ja, natürlich, warum denn nicht?“ César Muntada appelliert für eine progressive Arbeitsatmosphäre auf jedem Entscheidungslevel.
Woher nehmen Sie heutzutage Ihre Inspiration?
Die Natur hat so viel Wunderbares geschaffen, und alles in ihr basiert mehr oder weniger auf Licht. Wenn es zum Beispiel abends langsam dunkel wird und die Sterne beginnen zu leuchten, sendet dieses Licht Botschaften aus der Vergangenheit. Allein dieser Umstand inspiriert mich manchmal dazu, neue Botschaften für die Zukunft zu ersinnen. Dann sind da noch die Bücher; ich verliere mich nach wie vor in ihnen. Ich lese manchmal sehr langsam, um genau zu verstehen, warum vielleicht dieses und nicht jenes Wort gewählt wurde. Die Kraft einer Aussage liegt oft im Detail.
Aber was ich heutzutage am meisten liebe, ist die Inspiration durch Gespräche mit meinem Team. Da ich aus Barcelona komme, pflege ich die Kultur des gemeinsamen Mittagessens. Wir reden dann über alles Mögliche, jeder will die Welt verändern, das Gespräch fliegt von einem Thema zum anderen, und irgendwann kommen wir fast immer an den Punkt, an dem es heißt: Können wir das ausprobieren? Ja, natürlich, warum denn nicht? Ich bin von so vielen positiv denkenden, progressiven Menschen umgeben. Erst wenn wir etwas wirklich nicht mehr besser machen können – dann lassen wir es vielleicht, wie es ist.